Auch die Kleinsten hinterlassen Spuren: Kleinbergbau im montan.dok
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde im südlichen Ruhrgebiet, wo die Steinkohle aufgrund der geologischen Verhältnisse zutage tritt, auch durch Einzelpersonen Kohle abgebaut. Sie nutzten die Kohlennot insbesondere für den Hausbrand aus und verlangten teilweise horrende Preise für die so gewonnene Kohle. Zu diesem nicht genehmigten Abbau kamen dann langsam die ersten Kleinzechen, die von der Militärregierung gestattet wurden, hinzu. Neben der Kohle für den Hausbrand waren kleinere Betriebe der Industrie und des Gewerbes dankbare Abnehmer und bemühten sich selbst um Abbaugenehmigungen. Am Anfang musste eine Gemeinnützigkeit gegeben sein, um die Erlaubnis zu bekommen. Städte wurden so zu Betreibern von Zechen, um etwa Krankenhäuser, Schulen und Badeanstalten zu versorgen. Auch gemeinnützige Vereine waren tätig, um ihre Mitglieder zu beliefern und aus den Erlösen ihren Vereinszwecken nachzugehen. Unternehmer, Industriebetriebe, Handelsfirmen und schließlich die neugegründeten Stollengesellschaften waren 1954 als Eigentümer der Kleinbetriebe tätig.
Die Entwicklung des Kleinbergbaus verlief entlang des Konjunkturverlaufs. In Zeiten von Versorgungslücken wie nach dem Zweiten Weltkrieg und während der Korea-Krise 1950 waren sie gefragt, in Zeiten des Bedarfsrückgangs waren es oft nur langfristige Lieferverträge, die die Betriebe noch am Laufen hielten. Diese und gute Kohlenvorkommen sicherten manchen der Kleinbetriebe noch über die ab 1958 allgemein den Ruhrbergbau erfassende Krise ihre Existenz bis in 1960er-Jahre hinein. Die Zeche Egbert wurde sogar erst 1976 als letzte Kleinzeche geschlossen.
Eine amtliche Definition des Kleinbergbaus bzw. einer Kleinzeche gibt es nicht. Als Maß wurde von Friedrich Hollmann eine Jahresfördermenge unter 100.000 t genannt. Evelyn Kroker ging in ihrer Untersuchung zur Wirtschaftlichkeit der Kleinzeche von einer Zahl von unter 100 t Tagesförderung – bei 303 Arbeitstagen also weniger als 30.300 t im Jahr – und einer Belegschaft von unter 100 Beschäftigten aus. Dabei kam sie auf eine Zahl von 455 Kleinbetrieben in den Jahren von 1949 bis 1960, wobei 202 davon nur bis zu 10 t pro Tag förderten, und damit als so genannte Kleinstzechen gelten. Was uns zur ersten „Spur“ des Kleinbergbaus im montan.dok führt: einem grünen Kasten mit säuberlich beschriebenen bzw. beklebten Karteikarten, die in Krokers Artikel auch Erwähnung finden und sich im montan.dok/Bergbau-Archiv in der Zwischenregistratur erhalten haben. Diese Forschungsdaten basieren auf Joachim Huskes Zusammenstellung der Steinkohlenbergwerke im Ruhrgebiet, den Jahrbüchern des Deutschen Bergbaus und weiteren Aktenstudien.
Die erwähnten Akten bringen uns zur zweiten „Spur“: Eine wichtige Quelle für die Betrachtung der Verhältnisse in Bezug auf den Kleinbergbau nach dem Zweiten Weltkrieg sind die Akten der Deutschen Kohlenbergbau-Leitung (DKBL), Essen (montan.dok/BBA 12: Deutsche Kohlenbergbau-Leitung, Essen, hier montan.dok/BBA 12/260, 12/359, 12/434, 12/1151, 12/1152) im Bergbau-Archiv Bochum. Die DBKL, von der damaligen Militärregierung für die Steigerung der Leistungsfähigkeit der Stein- und Braunkohlenbergbauindustrie insgesamt sowie für Regelung der Produktion und des Versands eingerichtet, war auch für die Abbaugenehmigungen für Kleinzechen und ihre wirtschaftliche Kontrolle sowie die regelmäßigen statistischen Erfassungen, die ab 1952 erfolgten, zuständig. Zuvor bestand eine eingeschränkte Meldepflicht gegenüber den entsprechenden Bergämtern. Dies und die Tatsache, dass auch der Meldepflicht nicht immer Genüge getan wurde, macht eine genaue Erfassung des Kleinbergbaus nicht leicht.
Neben den Akten der DBKL werden im montan.dok/Bergbau-Archiv Bochum auch weitere Archivalien bewahrt, die uns zu weiteren „Spuren“ führen. Um die Steinkohle gewinnen zu können, mussten die zukünftigen Betreibenden einer Zeche das Abbaurecht erlangen. Zumeist lag dies bei größeren Bergwerksgesellschaften, von denen dann entsprechend der Abbaubereich gepachtet wurde. Eine Liste solcher Pachtverträge mit Angaben zu den Pächtern, Laufzeit, Fördermenge und Pachtzins ist im Bestand montan.dok/BBA 139: Schachtanlage Mansfeld, Bochum-Langendreer, aus dem Jahr 1968 erhalten (montan.dok/BBA 139/12). Hier werden die Kleinzechen Ruhrtal, Agricola, Schattbach, Markgraf und Liselotte genannt. Für die großen Unternehmen war die Verpachtung durchaus lukrativ. So kam man im Juli 1954 bei der Bochumer Bergbau AG zu der Einschätzung: „Die Einnahmen aus den Stollenzechen haben sich im Laufe der Zeit als für die Bochumer Bergbau A.-G. so vorteilhaft herausgestellt, daß diese Einnahmequelle erhalten werden sollte, zumal sie dazu dient, die in der Nähe der Tagesoberfläche liegenden Kohlenmengen zu gewinnen, die von der Bergbau A.-G. selbst nicht mehr abgebaut werden konnten.“ Das Schriftstück ist Teil des Bestands montan.dok/BBA 40: Bochumer Bergbau AG, Bochum, hier montan.dok/BBA 40/427.
Die im Volksmund mit Begriffen wie „Schrapp-di-wat“, „Eimerweise“ oder auch „Liliput-Zechen“, „Familienpütts“, „Kleinpütts“ oder „Kohlenzwerge“ betitelten Kleinzechen selbst sind ebenfalls, wenn auch im bescheidenen Ausmaß, mit Schriftgut im Bergbau-Archiv Bochum vertreten. Für die Anlagen Glocke, Im Rauendahl, Johannisberg und Hermanns ges. Schiffahrt finden sich Zeugnisse im Bereich der Geschäfts- und Betriebsführung, des Personal- und Sozialwesens sowie Kartenmaterial als Teil des Bestands montan.dok/BBA 157: Schachtanlage Flora, Bochum-Weitmar. So erhält man einen kleinen Einblick in den Betrieb und Hinweise auf die dort beschäftigten Personen. Wenn auch sehr verkürzt, werden die alltäglichen Arbeiten und besondere Vorkommnisse in Betriebsbücher wie in dem der Zeche Im Rauendahl im Jahr 1957 festgehalten. Neben Hinweisen auf den Zustand der Grubengebäude, der Wettertafeln und Fördergefäße sowie Angaben zu Fördermengen werden hier Ereignisse wie die Verletzung eines Bergmanns durch Kohlenfall auf den Kopf und seine Einlieferung in das Knappschaftskrankenhaus Bergmannsheil geschildert. Auch Probleme mit alten Grubenbauen und Wassereinfall sowie daraus resultierende Maßnahmen werden berichtet (montan.dok/BBA 154/59).
Mit dem nur 14 Verzeichnungseinheiten umfassenden Nachlass von Bergwerksbesitzer Dipl.-Ing. Wilhelm Ascherfeld, Gennebreck (montan.dok/BBA 271) sei noch die letzte archivische Überlieferung genannt. Die Akten und Fotografien sind schon gewinnbringend durch Harald Sydow für seine Studie zu der Zeche Petrus Segen und der Kleinzeche Renate – oder nach Sydow Hauptflöz (Renate) – ausgewertet worden.
In der Fotothek des montan.dok findet sich eine reiche Überlieferung von Zechenaufnahmen, darunter sind als eine weitere „Spur“ auch Kleinzechen wie etwa die schon erwähnte Kleinzeche Schattenbach (montan.dok 024900624000). Die ca. 200 Bilder geben einen guten Eindruck der unterschiedlichen Betriebseinrichtungen von einfachsten Ausführungen mit Dreibaum und Handhaspel (montan.dok 024902716000) zu den größeren mit Fördergerüst und Aufbereitungsanlagen (montan.dok 024900624000). Auch vom Kleinbergbau in Form des Stollenbaus – „Stollenbetrieb“ oder wie oben im genannten Schriftstück auch „Stollenzeche“ genannt – finden sich unter dem Schlagwort „Kleinzeche“ in der Fotothek Beispiele, so eine Fotografie eines Stollenbetriebs Bochum im Stadtteil Stiepel und hier im Ortsteil Haar von 1951 (montan.dok 024900708006).
Den Kleinzechen und den dort arbeitenden Menschen wird besonders im LWL-Museum Zeche Nachtigall gedacht und die Zeche Egbert als letzte Kleinzeche des Ruhrgebiets ist als Teil des Bergbauwanderwegs Muttental ebenfalls noch sichtbar. Im montan.dok steht, wenn man so möchte, ebenfalls ein kleines Denkmal, was uns zur letzten „Spur“ des Kleinbergbaus führt: 2008 gelangten eine ganze Reihe von Modellen, die von einem ehemaligen Bergmann gefertigt wurden, in die Musealen Sammlungen, darunter auch die Darstellung eines „Kleinpütts im Muttental“ (montan.dok 030006244004).
Wenngleich das Phänomen des Kleinbergbaus als relativ gut erforscht gelten kann, bieten die hier erwähnten Quellen eine gute Grundlage, um deren Spur wieder aufzunehmen, weiteren Aspekten nachzugehen und die Geschichte einzelner Anlagen näher zu beleuchten.
01. Dezember 2025 (Dr. Maria Schäpers)
- Literatur
Montanhistorisches Dokumentationszentrum (montan.dok) des Deutschen Bergbau-Museums Bochum 024900624000, 024902716000, 024900624000, 024900708006 und 030006244004.
Montanhistorisches Dokumentationszentrum (montan.dok) des Deutschen Bergbau-Museums Bochum/Bergbau-Archiv Bochum (BBA) 12/260, 12/359, 12/434, 12/1151, 12/1152, 40/427, 139/12, 154/59, 271/1-14.
Dimmers, K./Hollmann, F.: Der Kleinbergbau im Bereich der Stadt Blankenstein (Ruhr), in: Bergbau 3, 1970, S. 53-58.
Dudde, Matthias: Der Kleinbergbau im Ruhrgebiet nach dem Zweiten Weltkrieg am Beispiel des Raumes Herdecke-Wetter, in: Märkisches Jahrbuch für Geschichte 118, 2018, S. 166-187.
Dudde, Matthias u. a.: Zeche Eimerweise, in: Telsemeyer, Ingrid (Hrsg.): Zeche Nachtigall. Museumführer, Essen 2005 (= Kleine Reihe, Westfälisches Industriemuseum, Bd. 26).
Hollmann, Friedrich: Die Entwicklung der Kleinzechen im südlichen Ruhrgebiet seit dem Jahre 1950, in: Glückauf 102, 1966, S. 1330-1333.
Huske, Jochachim: Die Steinkohlenzechen im Ruhrrevier. Daten und Fakten von den Anfängen bis 1986, Bochum 1987 (= Veröffentlichungen aus dem Deutschen Bergbau-Museum Bochum, Nr. 40).
Huske, Jochachim: Die Steinkohlenzechen im Ruhrrevier. Daten und Fakten von den Anfängen bis 2005, 3. erw. Auflg. Bochum 2006 (= Veröffentlichungen aus dem Deutschen Bergbau-Museum Bochum, Nr. 144).
Jahrbuch des deutschen Bergbaus. Ein Führer durch die bergbaulichen Unternehmen der Bundesrepublik Deutschland, Essen, 1949-1966.
Kroker, Evelyn: Der Kleinbergbau im Ruhrgebiet nach 1945, in: Tenfelde, Klaus (Hrsg.): Sozialgeschichte des Bergbaus im 20. Jahrhundert. Beiträge des Internationalen Kongresses zur Bergbaugeschichte, Bochum, Bundesrepublik Deutschland, 3. bis 7. September 1989, Sonderausgabe für die Mitglieder der IG Bergbau und Energie, München 1989, S. 445-458.
o.V.: Kleinzechen im südlichen Ruhrgebiet, in: Stiepeler Bote. Zeitung für Stiepel und Umgebung, 67, Oktober 2001, S. 1.
Sydow, Harald: Zeche Petrus Segen 1942-1963. Die Entwicklung einer Zeche im Niederbergisch-Märkischen Hügelland zwischen Wupper und Ruhr, o. O. 2020.